Blut ist im Schuh

Der perfekte Mord
Drogensucht
Splatter
verschmähte Liebe

Sie kam immer kurz vor dem Morgengrauen, wenn Mike im Begriff war abzuhauen. Ich hörte ihr Flattern schon, bevor sie auf dem Fenstersims abbremste. Ihr verwischter Schatten zitterte auf der Gardine, wenn ich Randale machte, wie jede Nacht. In mein Winseln mischten sich ihr Gurren und das Scharren ihrer verhornten Zehen.  Wenn er weg war, schoss ich mich ab, die Geräusche folgten mir in den weißen Schlaf. Rukediku, Blut ist im Schuh.

Einmal stürzte ich auf den Balkon und versuchte, die Taube mit einem Schwall aus der Gießkanne  zu vertreiben. Ihr Gefieder war verwaschen, als hätte sie sich im Dreck gesuhlt. Sie wich nicht zurück, sondern flog mich an, die Flügel ausgebreitet wie ein angreifender Catcher. Bevor ich ins Zimmer flüchtete, blickte ich sekundenlang in ihre knopfartigen toten Augen.

Sie kam weiter, wenn der Tag anbrach und ich schlafen ging, scharrte nun jedoch leiser und das Rollen aus ihrer Kehle war fast unhörbar. Wenn ich mich rührte, flog sie weg und ließ sich auf der Regenrinne des Hauses auf der anderen Straßenseite nieder. Das war ihr Stammplatz, direkt unter dem Dachfenster einer älteren, missmutigen Frau, das meinem Schlafzimmerfenster genau gegenüber lag. Die Frau mit grauem Gesicht und einer grauen Dauerwelle saß Tag und Nacht rauchend hinter ihrer gardinenlosen Scheibe und starrte in meine Richtung, aber immer an mir vorbei. Auch in den bleigrauen Morgenstunden war sie da und starrte gemeinsam mit der Taube, ihre Augen waren wie Kieselsteine. Ich hängte meinen Parka vor das Fenster, aber die Blicke drangen durch den dicken Stoff. Sie höhlten mich aus und ich brauchte den Schuss immer früher, mein Rhythmus kam durcheinander und ich wusste kaum noch, wie ich die Kunden beliefern sollte. Ich bekam die fixe Idee, der Frau und der Taube einen Strahl Säure genau zwischen die Augen zu schießen, mit einer Wasserpistole, bam, bam, eins, zwei. Ich konnte nicht aufhören, daran zu denken. Aber woher sollte ich Säure bekommen? Wenn ich Mike vorjammerte, wie bekloppt die beiden mich machten, sagte er nur: Friedenstaube, davon solltest du dir mal ‚ne Scheibe abschneiden.

Totenvögel, sagte ich, zum Abschießen, alle beide.

Mikes Reißverschluss zippte und er verschwand ohne sich umzusehen.

Ich konnte immer schlechter einschlafen, wenn er gegangen war, und verbrauchte immer mehr von der Ware, die ich eigentlich verkaufen sollte. Das Zeug für die Kunden streckte ich mit ­Mehl. Lange gutgehen konnte das nicht.

Die Kieselaugen starrten durch den Mantelstoff, eine Brise Zigarettenrauch wehte herüber, ein leises Scharren, Rukediku. Ich bekam die Idee, die Alte sei eine Puppe mit beweglichen Gliedern, wie man sie auf Jahrmärkten in engen Buden hocken und mit abgehackten Gebärden und ruckartigen Kopfbewegungen Karten legen sieht.

Mike brachte jetzt nachts nur noch die Lieferung für den nächsten Tag vorbei, zählte das Geld und schob mir meinen Anteil hin, dann ging er, ohne mich anzusehen. Zu schwierig, murmelte er einmal, als ich mich beschweren wollte.

Da versteckte ich den Hammer unter der Matratze.

Bevor ich es wirklich tat, tat ich es dutzende Male im Traum, schlug von oben, beidhändig mit weit ausholenden Armen, und wunderte mich über meine Kraft.

An dem Tag, für den ich es vorgesehen hatte, schminkte ich mich auf süße Puppe und nahm den Schuss erst kurz bevor er kam, war aufgedreht und lieb, verführte ihn in dem Bewusstsein, dass es das letzte Mal war.

Die Art und Weise, wie er mich bestieg, machte es einfach. Ich kannte den Punkt, wenn er kam, passte den Moment der Wehrlosigkeit ab, griff neben mich und schlug zu, es war noch leichter als im Traum. An den Schlag habe ich keine Erinnerung, nur daran, wie Mike sich wie in Zeitlupe auf mich senkte und sein Blut über meinen Hals sickerte. Er drückte mich unter Wasser.

Die Anstrengung, ihn in die Badewanne zu hieven, war fast unmenschlich, obwohl ich mit Adrenalin vollgepumpt war. Er war ein Hänfling gewesen, dünn und sehnig, aber jetzt ein bleischwerer Sack. Ich warf das befleckte Laken über ihn und zog den Duschvorhang zu, spritzte mir was und warf noch ein paar Pillen drauf. Dann rannte ich ins Exit, das noch offen war. Alle waren breit, der DJ legte heavy metal für mich auf und gab mir was zu rauchen. Ich fragte ein paar Leute, ob sie Mike gesehen hätten und mimte Verzweiflung.

Als ich nach Hause kam, war es schon hell, der Spießer von unten riss von innen die Haustür auf, als hätte er mich abgepasst. Sein frisch geschabtes Gesicht dünstete Rasierwasser aus, mit Blut vollgesogene Zellstoffstückchen klebten auf Kinn und Wangen. Der eine kommt, der andere geht, blaffte er und ließ seinen Plastikbeutel gegen meinen Oberschenkel klatschen.

Ich raste nach oben und pinkelte in der Küche in ein Gurkenglas, das ich in der Spüle ausleerte. Der Affe begann den Veitstanz und ich nahm eine Handvoll Pillen, bevor ich ins Bett ging.

Als ich aufwachte, war Mikes Geruch im Raum und es schimmerte golden, weil die Sonne in mein Fenster schien. Auf dem Parkastoff zitterte der Schatten der Taube, verhornte Zehen scharrten. Meine Därme krampften und ich raste erst ins Bad, als es fast zu spät war, ehrlich gesagt war es zu spät. Ich zog mich aus und wusch mich mit geschlossenen Augen notdürftig am Waschbecken.

Ich kam zurück ins Schlafzimmer und es schwirrte vor dem Fenster. Als ich den Parka zur Seite schob, kleckerte ein riesiger Taubenschiss an meiner Scheibe herunter. Zwei Augenpaare starren durch Zigarettenschwaden. In der Küche benutzte ich wieder das Gurkenglas, machte mir einen starken Kaffee und zog eine extralange Linie.

Der Flash war einer der besten meines Lebens. Plötzlich machte alles Sinn: Der Streit mit meinem Bruder um das Erbe, die Kücheneinrichtung, mit der er mich abgespeist hatte, sie sei mehr wert als das Bargeld. Die Frau, die sich meine Mutter nannte, hatte immer Wert auf eine gute Ausstattung gelegt. Vor allem stand sie auf Qualitätsmesser, mit denen sie die Fleischberge zurechtsäbelte, die ihr Mann, der nicht mein Vater war, verlangte. Deshalb war auch die Tiefkühltruhe angeschafft worden. Die erbte ich ebenfalls, weil sie in mein großes Bad passte. Mein Bruder meinte, ich sollte darin die Vorräte der ganzen Sippschaft einfrieren, die bei der Gelegenheit, so hoffte er, ein Auge auf mich haben konnte. Er selbst kümmerte sich um nichts, sondern setzte sich mit Boyfriend und Bargeld nach Australien ab.

Ich hatte die Truhe niemals benutzt, aber jetzt wusste ich, wozu ich sie bekommen hatte. Die Lösung stand glasklar vor mir, ich konnte kaum glauben, wie einfach es war. Ich ging ins Badezimmer, ohne in Richtung Wanne zu gucken, und steckte den Stecker ein. Die Truhe verfiel in ein Brummen, das mich enorm beruhigte, vor allem als sich in der dampfenden Gruft Eiskristalle bildeten.

Es gehörte zu meinen Gewohnheiten, mich nach dem Aufstehen mit Punk und Heavy Metal anzuknallen, Sid Vicious, Kurt Cobain, Metallica. Das störte um diese Zeit niemanden. In unserem Haus wohnte nur noch ein altes Ehepaar, dessen Sozialhilfe nicht für Hörgeräte reichte. Der Spießer war auf Arbeit und die restlichen Apartments waren sporadisch von Alkis und anderen Drogis bewohnt, die der Lärm nicht störte.

Ich knallte Nirwana hoch, band mir ein Tuch über Gesicht und Nase und zog den weißen Schutzanzug an, den mir mein Bruder mal dagelassen hatte. Zum Dekontaminieren, ha ha! Wie komisch er sich fand, der schwule Spießer mit den Geranien am Küchenfenster.

Man kann schlecht erzählen, wie es ist, jemanden mit einer elektrischen Küchensäge zu zerkleinern. Auf jeden Fall mühsam. Ich habe kaum Erinnerungen, weil ich mich ziemlich zuballern musste. Nur so viel, dass ich meiner Mutter dankbar war – vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben – dass sie so ein Qualitätsfreak war.

Ich zog zwei Paar Einmalhandschuhe übereinander und arbeitete unter dem Laken. Ich habe ihn nicht mehr angesehen, es war ja auch nicht mehr Mike.

Aus ihm wurden acht Päckchen, die ich in Mülltüten verstaute. Ich brauchte zwei Sitzungen, viel Punk und noch mehr Speed. Die Truhe brummte eineinhalb Tage, bis sie richtig runtergekühlt war, dann war Ruhe und sie brummte nur noch gelegentlich. Ich putzte pikobello, alles war weiß und frisch und ich ging wieder richtig gerne in mein Bad.

Der zweite Teil des Plans war so einfach umzusetzen, dass ich es kaum glauben konnte. Ich wartete bis Dienstagnacht, weil Mittwochvormittag die Müllabfuhr kam, meistens schon im Morgengrauen. Kurz vorher huschte ich runter und verstaute zwei der Päckchen unter dem Hausmüll. Jetzt im Sommer waren die Eimer selten ganz voll. Eine Stunde später war schon alles im Bauch des Müllwagens verschwunden und auf dem Weg in die Müllverbrennungsanlage. Wir hatten sie mal mit der Schule besichtigt und das Höllenfeuer hatte mich beeindruckt.

Innerhalb von vier Wochen wurde ich die Päckchen los. Nachts ging ich ins Exit und lag jedem wegen Mike in den Ohren. Wo er denn sei, ich hätte solche Sehnsucht undsoweiter, blabla. Amsterdam, New York, niemand wusste es genau.

Ich kam immer mieser drauf, weil ich ihn so vermisste. Stattdessen musste ich mir jetzt jede Nacht Buffys schmierigen Hintern angucken, der mir nur Ware gab, wenn ich ihn ranließ. Für liebe Mädels gibt’s ne ganze Packung Ropies extra, schleimte er, und ne ganze Tüte voller Schneeflocken.

Ich überstand es irgendwie. Eines Morgens, die Sonne schien wieder durch die bekleckerte Scheibe, wollte ich ein neues Leben beginnen und mit einem frisch geputzten Fenster anfangen. Ausgerüstet mit Eimer und Wischlappen nahm ich den Parka ab. Gegenüber ruckten zwei eng aneinander liegende glühende Stecknadelköpfe in meine Richtung, mit der gekrümmten Schnabelspitze bildeten sie ein Teufelsdreieck. Daneben stellten sich zwei Pyritsteine mit tausenden Prismen wie bleierne Scheinwerfer auf mein Gesicht ein und glommen rhythmisch auf. Eine Hand mit eingeklemmter Zigarette hob sich zum Gruß.

Rukediku, Blut ist im Schuh.

Ich stellte mich aufs Fensterbrett und bearbeitete mit einem kratzigen Schwamm den angetrockneten Taubenschiss. Das Dreieck verzog sich zu einer Fratze, die Pyritscheinwerfer pulsierten auf meine Füße zu und zogen sie unter mir weg. Ich klammerte mich an das Fensterkreuz. Eine Sirene gellte. Blaurote Blitze flammten. Tumult von unten. Dreieckige weiße Flecken starrten hoch. Ein rundes Sprungtuch schoss auf mich zu und es gelang mir im letzten Moment auszuweichen.

Jetzt hänge ich über dem Chaos, die Flügel ausgebreitet wie ein angreifender Catcher. Scheinwerfer gleißen von unten, während ich an Höhe gewinne.

 

 

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