Im neuen Karussel-Heft: Revolution I bis III

§218
1968
Achtundsechzig
Auschwitz
Frauenemanzipation
Pubertät
Studentenrevolte

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Revolution I   Der Blutsee   

Man nennt sie bockig, wenn sie etwas verweigert, was die Mutter will. Dann tut sie es doch, damit die Mutter nicht kurzatmig und böse wird. Der Wille der anderen. Sie weiß nicht, wie es ist, etwas zu wollen. Es ist was Abgetrenntes, es hat nichts mit ihr zu tun, sie hat es noch nie ausprobiert. Sie räumt den Tisch ab, trocknet das Geschirr, versucht, den Vater auf gute Laune zu bringen.

Weiß und rein liegen die Bahnen von Mutters Bügelwäsche da. Die Mutter tunkt die Finger in ein Wasserschälchen und schlägt die Wassertropfen über dem Tischtuch ab, das nach Stärke duftend, aber noch faltig vor ihr auf dem Bügelbrett liegt. Das Eisen ist heiß, die Mutter leckt den Finger an und tippt auf das Eisen, es zischt. Sie schiebt es mit ausholenden Armschwüngen über das weiße Laken, es reibt und raschelt. Die Stärke gerinnt zu einer sahnigen Oberfläche. Die Mutter liebt das Bügeln, sie liebt es mehr als das Kind, das eigentlich Zuwendung möchte, mal auf dem Schoß sitzen, ein Lachen, ein bisschen Wärme. Aber da ist kein Platz, da wird gebügelt, da wird Wäsche gelegt und gefaltet und dann das dampfende, gefährliche Eisen. Die marmorne Glätte ist das Wichtigste für die Mutter, wichtiger als der Wille des Kindes.

Die Mutter bügelt und bügelt, sie will nichts hören von dem Kind, alles ist ihr zu viel. Die Wäschestapel und das Gequängel. Die Mutter streicht über die weiße Fläche, die duftet und quietscht vor  Frische. Dieses glatte Weiß interessiert sie, sonst gar nichts, nicht, dass sie eine Tochter hat, die etwas von ihr will. Eine Tochter, die seit neuestem blutet, auch das will die Mutter nicht wissen. Sie will sich mit ihren glatten Tischtüchern, ihrem Bohneneintopf, ihrer Buttercremetorte am Wochenende befassen, nicht mit dem Kind, das manchmal so traurig und niedergedrückt ist, dessen Herz bitter ist.

Das Kind trägt einen Becher mit rotem Johannisbeersaft in der Hand, die Mutter bügelt hingebungsvoll die Fläche, die da liegt wie ein Milchsee.

Sie weiß gar nicht, wie sie es aufschreiben soll, mit der Erinnerung kommen Scham und Angst. Und Triumph! Eine rote Wut schießt aus ihr heraus, eine blutige Wut, die so schnell von hinten kommt, dass sie selbst überrascht ist. Wisch, macht die Tochter mit dem Becher, schwupp, sie dreht nur das Handgelenk. Der frische Johannisbeersaft und das entsetzte Gesicht der Mutter. Der rote Johannisbeersaft, der sich in die weiße Stärke frisst, an den Rändern über die quietschende Oberfläche perlt, bevor er in das Tischtuch – das beste, das nur zu hohen Feiertagen benutzt wird – hineinwölkt. Auf dem Bügeltisch schwimmt eine rote Amöbe.

Die Mutter wird erst so weiß wie das Tuch, dann rot und feucht von Hitzewallungen. Ihr Blick auf das Kind ist vernichtend, sie ist atemlos, weiß nicht, was sie sagen soll, nur so viel, dass der Vater es am Abend erfahren wird. Das Kind starrt auf den Blutsee, das bittere Herz klopft, das kleine, sündige Herz.

 

Revolution II              Achtundsechzig

Der Blick des Vaters kocht, wenn er das Wort Gammler ausspricht, die da, die Ungewaschenen, die sich nicht um Recht und Gesetz scheren. Die Schreihälse, die langhaarigen Verbrecher, der Abschaum. Aus dem schwarzweißen Fernseher flimmern nie gesehene Bilder: Eine Menschenmeute mit langen Mähnen, Bärten, Kraushaaren, die wie Ballons um die Köpfe stehen, tobt und brüllt in den Berliner Straßen, hält Spruchbänder in die Kameras – Ho-ho-ho-Chi-Minh  – lacht die Polizisten aus, trotzt den Wasserwerfern. Sie trauen sich was, ihre Gesichter sind frei und mutig. Die Tochter ist neidisch, in ihr ist es dunkel. Wie gerne wäre sie dabei, würde das Maul aufreißen und mitbrüllen. Nazis raus! Freie Liebe! Weg mit dem Paragraphen 218! Der Feind steht rechts!

Die Reden Rudi Dutschkes, seine geschliffene, intellektuelle Wut. Überhaupt: Die Intelligenz. Das Intellektuelle. Nichts für Frauen, auf die wartet der Herd. Studierte Weiber, wo kommen wir denn da hin.

In seinem Fernsehsessel gerät der Vater in Rage. Flammenwerfer draufhalten. Am besten gleich die fettigen Zotteln mit wegbrennen. Die Mutter schüttelt sich. Wochenlang keine Seife gesehen.

Seife haben sie gemacht, hat die Tochter gelesen, aus den Menschenknochen in Auschwitz haben sie Seife gemacht und damit die Böden geschrubbt. Bis alles glänzte unter Lampenschirmen aus Menschenhaut.

Manche der Demonstranten sind auf Bäume geflüchtet und beobachten die Szenerie von oben: die anbrandende Menge, die prügelnden, ihre Absperrgitter verteidigenden Polizisten. „Schah, Schah, Scharlatan – Schah-SA-SS – Mörder,“ – die Rufe gelten dem Zuckerbäckerkaiser und Alleinherrscher Rezah Pahlavi und seiner Kaiserin Farah aus dem Morgenland, die in Berlin einen Staatsbesuch mit Prunk und Pomp zelebrieren. Juwelen-Farah und ihr Gebieter in weißer Uniform lächeln verkrampft in die bereitstehenden Kameras. Die extra für sie bestellten Jubelperser prügeln mit Stöcken auf die Demonstranten ein. Aus der Gerüchteküche schwappt die Falschmeldung, ein Demonstrant habe einen Polizisten erstochen. In der gleichen Nacht wird der Student Benno Ohnesorg  von einem Polizisten erschossen – die Demonstrationen werden immer wütender.

Die Tochter stellt sich vor das flimmernde Fernsehbild und nennt den Vater einen Faschisten. Wie gut das tut, es ist stärker als die Angst. Endlich ein Wort für das stumme Entsetzen, das wie eine Bombe unter dem Wirtschaftswunder, dem weißen Rössel am Wolfgangsee, den braven Dirndln, den lustigen Heinz-Erhard-Schmonzetten  tickt , ein Begriff für das, was sich allmählich offenbart. Die Bundesrepublik hat ihre Trümmer abgeräumt und moderne Kästen an ihre Stelle gesetzt. Die Hoffnung, man könne das Unsagbare darunter begraben, machen die Schreihälse zunichte.

Der Vater sagt nicht nur das mit den Flammenwerfern, sondern schimpft seine Tochter auch eine Rote. Gesocks, Vaterlandsverräter, Lügenpack. Er holt ein Messer aus der Küche und fuchtelt damit vor ihrem hochschwangeren Bauch herum. Seine Augen glitzern vor Hass oder Angst, oder einer Mischung aus beidem.

Sie muss fast lachen. Zum ersten Mal, seit sie denken kann, ist sie furchtlos.

 

Revolution III             Der Schatz

Der Kindsvater gehört auch zu den Langhaarigen, bekommt aber einen Bonus, weil er Künstler ist. Er kippt mit dem Vater Korn, bis beide vom Stuhl fallen.  Der Mann hat schon deshalb Respekt verdient, weil er die Tochter trotz ihrer Widerborstigkeit nimmt.  Die Eltern gehen davon aus, dass er sich die Querulantin schon zurechtbiegen wird.

Lange Haare heißen gar nichts, das merkt die Tochter bald. Auch der Langhaarige liegt wie der Vater auf der Couch und lässt sich bedienen. Er bestimmt, was gegessen wird und wo es langgeht, dringt darauf, dass möglichst bald das zweite Kind angesetzt wird. Damit sie ihre Flausen aus dem Kopf bekommt, zum Beispiel einen Beruf  lernen oder studieren zu wollen. Spätestens jetzt weiß sie, dass die Revolution nur ein Geplänkel war, ein folgenloses Geschrei. Die Langhaarigen reifen zu würdigen Vertretern ihres Geschlechtes heran mit dem einzigen Unterschied, dass sie ihre Nacken nicht ausrasieren, dass ihre Stimmen nicht im Befehlston bellen. Sie trinken viel und wissen alles besser. Hysterische Ausbrüche von Frauen sind ihnen ein Gräuel, Tränen erst recht. Sie bilden sich ein, Teil der Revolution und die Speerspitze des Fortschritts zu sein.

Die junge Ehefrau ist, wie von ihr erwartet wird, bald wieder schwanger. Während der Ehemann die Karriereleiter hochklettert, für den Unterhalt sorgt und die Direktiven vorgibt, nutzt sie, wenn die Kinder schlafen, die Zeit zum Lesen. Die Mao-Bibel, Habermas, Bloch. Summerhill. Sie versteht das meiste nicht, aber doch so viel, dass es das nicht gewesen sein kann, dass da mehr kommen muss, viel mehr. Der Schatz will gehoben werden.

Sie trennt sich, als das zweite Kind aus dem Gröbsten heraus ist. Er will es nicht wahrhaben. Sie spinne, sie könne doch gar nicht ohne ihn.

Die Wut trägt sie auf einer feurigen Schwinge davon. Nachts ist sie jetzt allein, bis gegen Morgen die Kinder zu ihr kriechen. Sie liegt wach vor Angst, dass er recht behalten könnte.

Sie fleht um Hilfe, sie kennt mittlerweile die Mächte, die Ruhe und Zuversicht schenken.

Das Kamel geht durchs Nadelöhr.

Das Kamel geht durchs Nadelöhr.

Sie stellt es sich so lange vor, bis sie weiß, dass es geht.

Es geht durchs Nadelöhr. Sie geht durchs Nadelöhr.

 

 

 

 

 

Ein Kommentar zu "Im neuen Karussel-Heft: Revolution I bis III"

  1. Herbert Gerstberger sagt:

    Eine hochkonzentrierte, ausdrucksstarke Trilogie, wie ich finde.
    (Bin gerade zum alten 68er avanciert, aber nicht nur deshalb.)
    Auch die Lesung im Café Swane war eindrucksvoll.
    Danke!

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