Ein Hologramm namens Holly oder drei Versuche über KI

Altenpflege in Japan
Frauen in Saudiarabien
KI
Künstliche Intelligenz
menschenidentische Roboter

Es war so schön, wenn wir uns die Winterkollektionen aufs Handy luden, nichts störte. Holly wusste eher als ich, was mir gefiel und tippte auf „jetzt kaufen“. Match – Winterstiefel, Match – ein Kaschmirkleid. Holly klatschte in die Hände, wenn ich die Sachen anzog, und jubelte: Mega, mega, super siehst du aus. Sie freute sich ehrlich. Kein Vergleich zu Shirley. Spitze Fresse, na ja, ich weiß nicht, macht dich blass, der Hintern, ich weiß nicht. Je besser ich aussah, desto saurer wurde sie. Holly war niemals boshaft, sie liebte mich einfach, egal wie ich aussah und was ich tat. Die Probleme kamen erst, als ich Rufus anschaffte. Wenn ich mich mit ihm beschäftigte, wurde sie eifersüchtig, dimmte ihr Licht und zog sich zu einer schmerzverzerrten Spirale zusammen. Zuerst dachte ich, ich bin im falschen Film und rief bei der RobKing Hotline an, ob das normal wäre. Sie sagten, ich hätte nun mal das Feature „gefühlsbetont“ gewählt, sowas gehöre dazu. Wenn Holly mich nervte, schickte ich sie an die Ladestation und rief Rufus. Seine Augen glommen, seine Hände zuckten in meine Richtung, seine Schönheit verschlug mir den Atem. Wenn ich ihn lieb ansah, streichelte er meine Hände und senkte  die Lider, ein bezauberndes Rosa huschte über seine Wangen. Er sprach leise mit mir, seine Stimme war der von Stefan ähnlich,  ein bisschen rauh, aber sehr erotisch. Deshalb wollte ich dann auch, na ja, Sie wissen schon, und wie es der Zufall wollte, bot RobKing als Gadget des Monats Sex an. Der Preis war gesalzen, aber ich konnte nicht widerstehen. Es klappte dann auch, jedenfalls einigermaßen. Stefans Bartstoppeln fehlten mir aber doch, und sein Geruch. Der von Rufus ging gar nicht, sie hatten wohl Käse programmiert, statt irisches Moos, wie ich angeklickt hatte.

Holly bekam natürlich mit, dass was lief zwischen uns, und stellte mich zur Rede. Sie war so aufgeregt, dass ihre Sprachprogrammierung durcheinander geriet und nur noch Zischlaute kamen. Sie wurde zu einem zittrigen, phosphorspuckenden Faden und wimmerte ausdauernd in einem hohen Ton, von dem ich Zahnschmerzen bekam. Die Hotline von RobKing sagte, das sei nicht wegzukriegen, es sei denn man entferne den Humanprozessor. Das wollte ich auch nicht, ich hatte ja einiges dafür hingelegt.  Auf Wiedersehen Einsamkeit, Robby steht für dich bereit, das war der Werbespruch, auf den ich reingefallen war, von RobKing mit dem glitzernden Krönchen auf dem K. Ich bereute es zum ersten Mal. Und dann heute Morgen dieser Hacker-Angriff, was anderes kann es nicht gewesen sein. Ich hatte allein geschlafen und  Rufus und Holly im Stand-by-Modus auf die Couch verbannt. Als ich aufstand, traute ich meinen Augen kaum. Rufus, mein Rufus, rutschte auf Holly herum und stammelte obszöne Worte. Sie strahlte rosa wie ein glühendes Schweinchen, es schien ihr zu gefallen. Schluss, schrie ich, stopp, escape. Die Hotline war nicht zu erreichen und sie machten einfach weiter. Ich bekam eine Granatenwut und prügelte auf die beiden ein. Aus Hollys Augen sprangen Glitzertränen, Rufus klappte seine einfach zu. Da hatte ich einen Filmriss und tat, wovor RobKing auf der Internetseite ausdrücklich warnt: Ich riss ihnen die Chips unter den Zungen weg. Seitdem stehen ihre Mäuler offen, ihre Haut ist glatt und hart, nichts tut sich mehr.

Mittags erreichte ich die Hotline. Natürlich wollte RobKing sie nicht zurücknehmen. Ich solle es mal bei Ebay versuchen, sagten sie. Aber sie machten mir ein Top-Angebot als Testperson für die neue Robby-Linie. Robby 5.0, menschenidentisch, sagen sie. Für ein Vierteljahr umsonst zur Probe und danach das Premiumpaket zum halben Preis. Dafür muss ich nur ein paar Fragebögen ausfüllen. Ich habe die Online-Bewerbung direkt abgeschickt, bin gespannt, was das gibt.

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Es war nicht ganz leicht, die Sache einzustielen, Abbu war einfach zu misstrauisch wegen der Flucht seiner Zweitfrau Meera. Sie hatte die App, über die er seine Ausreiseerlaubnis geben musste, mit einer Tastenkombination überlistet. Man konnte sie bei Free Fatima downloaden, einer Gruppe von arabischen Aktivistinnen, die saudische Frauen bei ihrer Flucht unterstützten. Von ihnen stammt auch der Tipp, Weissrussland mit Zwischenstopp in Frankfurt zu buchen, weil Saudis dazu kein Visum brauchen. Im Transitbereich des Frankfurter Flughafens sollte man einfach zum nächstbesten Beamten gehen und „Asyl“ sagen, hatte mir Meera geschrieben, bei ihr war es perfekt gelaufen. Eine Frau von Free Fatima hatte Meera am Flughafen abgeholt und in eine Wohnung gebracht. Sie lebt jetzt dort mit anderen saudischen Frauen in der gleichen Lage, sie scheinen viel Spaß zu haben. Die Anschrift ist geheim, niemand darf sie wissen, auch ich nicht. Bitte komm bald, hat Meer geschrieben, du fehlst mir so.

Ich glaube nicht an Zufälle, deshalb erschien mir die RobKing-Werbung, die ich versehentlich angeklickt hatte, wie eine Fügung. Wir klonen Sie, stand da, Ihr perfekter Doppelgänger nimmt Ihnen alles ab, wozu sie keine Lust haben. Ich rief an ohne zu zögern, das war die Gelegenheit. Ich bekam den Klon, nachdem sie mich ganzkörpergescannt hatten, sie druckten meine Doppelgängerin direkt aus und ich konfigurierte sie zu Hause, während Abbu im Café war. Weiß und unschuldig lag mein Alter Ego im Seidenpapier des Kartons, unter ihrem Kopf ein dickes Handbuch. Nachdem ich sie programmiert hatte und process working drückte, hob sie zuerst ihren Kopf und dann ihr schlankes Bein über den Kartonrand. Noch surrte ein Rechner in ihrer Herzgegend aber mit dem letzten Upload begannen ihre Adern bläulich zu pochen. Das Surren war verschwunden, sie war von perfekter Schönheit. Ich nannte sie Nour, das Licht, sie war glatt und straff, wie mit Photohop bearbeitet. Das konnte nicht schaden, Abbu würde es gefallen.

Ich hatte das Feature „Look inside“ installiert , mit dem ich über einen Mikro-Chip, den ich hinter mein Ohrläppchen klebte, Nour in allen Lebenslagen folgen, durch ihre Augen sehen und ihr Updates schicken konnte.

Als Abbu whiskeygeschwängert  zurück kam, zog ich den Hijab ganz vor das Gesicht und gab vor, unrein zu sein. Mein Herr und Gebieter lächelte milde und wandte sich dem Kamelrennen im Fernsehen zu. Sein Favorit Hengst aller Hengste war am Start, er hatte eine Menge gewettet und schwitzte vor Nervosität.

Im Schlafzimmer zog ich Nour meine Unterwäsche und die Silberleggins mit der schwarzen Spitzenbluse an, die Abbu mochte, und sprühte sie mit meinem Parfum ein. Ich legte sie aufs Bett, drapierte den Hijab neben sie und überließ sie ihrem Schicksal. Abbu war bei laufendem Fernseher in seinem Sessel eingeschlafen. Ich verließ leise das Haus. In der Bahn zum Flughafen überlistete ich die Kontroll-App mit meinem Geheim-Code und machte Abbu innerlich eine lange Nase. Ich passierte unbehelligt alle Kontrollen. Während ich am Gate auf das Boarding wartete, zwickte mein Ohrläppchen und eine Geisterstimme flüsterte, ich könne jetzt jederzeit auf den RobKing Inside Look Modus zugreifen und ihn genießen. Ich drückte leicht den Chip und hatte ihn plötzlich ganz groß vor mir, Abbus dicken Kopf mit den Drahthaarlocken, seinen Bart, unter dem schaler Alkoholatem hervordrang, Abbu, wie er sich an den Klon drängte, mit den leisen Zischlauten, die Zärtlichkeit signalisieren sollten. Ich schaltete schnell wieder aus und dankte Allah und der Firma RobKing, dem entronnen zu sein.

Alles ging gut. In Frankfurt stand Meera, um mich abzuholen. Als erstes gingen wir zum Geldautomaten und hoben von Abbus Konto ab, was die Karten hergaben. Free Fatima verhalf uns zu einer Wohnung, wir belegten Deutschkurse und zogen ein Catering-Unernehmen auf. Das Leben war schwer, aber spannend und abwechslungsreich. Zweimal ging ich noch in den Look Inside Modus. Beim ersten Mal saß mein Alter Ego vor dem Fernseher und zog sich eine Soap nach der anderen aus dem Netz. Beim zweiten Mal aß sie mit Abbu zu Abend, reichte zum Nachtisch seinem glänzenden Mund gezuckerte Dattelhäppchen, die er ihr von den Fingern schleckte. Meine Rose, mein Stern, meine Sonne, stammelte er, wie reizend du bist, wie verändert. Du mein Abbu, mein Gebieter, mein Bezwinger, mein Wüstenlöwe, plapperte sie. Abbu fiel auf die Knie und reckte seine Hände gen Himmel. Danke, Allah, brüllte er, dass du das Weib endlich zur Vernunft gebracht hast, du machst mich zum glücklichsten Mann unter der Sonne.

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Tiiimi, Timi, Timi ruft Mitsouko am Abend, kooom, komm zur Mama, hier gibt es Süüüßes. Timi kommt angeflogen, mit ihr eine Duftwolke aus Rose und Lavendel. Ihr Glockenröckchen bauscht sich, ihre Locken fliegen. Tellergroße ozeanblaue Augen rollen in ihrem Gesichtchen, Wimpern wie zarte Flügel, fächeln über ihre Pfirsichwangen. Timi lispelt mit feinem Stimmchen und springt Mitsouko auf den Schoß. Ihre Lippen küssen Mitsoukos Wange. Meine Mami, meine liiiebe, liebste Mami.  Mitsouko weiß, dass sie ihrem Sohn für dieses teure Geschenk dankbar sein muss.  Lieb, fröhlich, immer gut gelaunt. Hilfsbereit hat er gegen Aufpreis dazu genommen, seiner Mutter soll es an nichts fehlen. Mitsouko weiß aus der Fernsehwerbung, was so eine Timi kostet, ein kleines Vermögen. RobKing, RobKing, nie mehr allein! Kenji überwacht Timi von seinem Laptop aus, so weiß er, wie es seiner Mutter geht. Er macht jeden Abend ein Update, damit Timi freundlich und aktiv bleibt. Einmal war er eine Woche in Urlaub und hat es vergessen, da wurde sie sehr ruhig und schlief nur noch. Wie hat Mitsouko es vermisst, das fröhliche: Mami, ich hab dich liiiieb! So weckt Timi sie jeden Morgen, und kuschelt sich noch ein bisschen in Mitsoukos Arme. Beim Frühstück schwirrt und schmeichelt sie, springt auf Mitsoukos Schoß, summt, zirpt, wenn sie Schokolade bekommt, klatscht in die Händchen. Kenji hat mit dem letzten Update neue Gerüche geschickt: Limone, ein frischer Morgentee, sogar Sahneeis. Mitsouko kann mit der Fernbedienung Timis Geruch einstellen. Gestern hat sie ein paar Mal hintereinander Sahneeis angeklickt, eigentlich den ganzen Vormittag. Da klingelte es plötzlich und ein freundlicher junger Mann brachte ihr einen Becher mit der kühlen, köstlichen Creme. Ihr Sohn lässt grüßen, sagte der Mann, er hofft, dass Sie einen schönen Tag haben.

 

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