Lippen schweigen

Apotheker-Krimi
Lippen schweigen

Lippen schweigen

Lippen schweigen

Orgelmusik brandet heran, eine Woge auf dem Tränenmeer. Eine Pavane aus Sargträgern mit schwarzen Baretten schreitet im Zeitlupentempo durch die geöffnete Kirchentür. Rosen und Lilien zittern auf dem Eichensarg, schwanken wie Lissy, die vom Arm der Tochter gehalten wird und nicht weiter kann, nicht hinaus will in den blendenden Sommertag, in die weiche Luft, die über die Grube streicht. Da muss er gleich hinunter, sein Leib wird verwesen und von Maden zerfressen werden. Sein alter harter Leib.

Reiss dich zusammen, Mama, wenigstens heute. Sonja zischt hinter der Sonnenbrille, die ihr halbes Gesicht verdeckt. Sie hat schon Falten um den Mund, gerade Vierzig und eine Haut wie Leder, das kommt von der Sonnenbank. Und von Ferdis Erbmasse, die sie reichlich in sich trägt, grob und ungeschlacht.

Fuß vor Fuß setzen. Die neuen Pumps sind zu eng, die Beine noch ganz passabel, bis auf die Krampfadern.

Diesen Stützstrumpf kann ich uneingeschränkt empfehlen, liebe Frau Kleinhans, drückt alles weg und schimmert wie Seide, da sehen Sie gar nichts. Nicht ganz billig, aber Qualität.

Aber lieber Herr Doktor, das müssen Sie mir doch nicht sagen, bei Ihnen bekommt man doch nur das Beste vom Besten. Geben Sie schwarz und beige, jeweils zwei Paar.

Und sonst das Übliche?

Wie immer, Herr Doktor.

Mama!

Sonja zerrt und stößt, bis sie vor dem Grabhügel mit dem gähnenden Loch stehen. In blaurote Sargträgerhände schneiden Stricke, Barette neigen sich, der Sarg liegt schief. Wenn der Deckel abrutscht und er herausfällt. Ferdinand Kleinhans, in Gottes Hand. Tränen rinnen unter der Sonnenbrille hervor, kaum zu glauben. Sie hat ihn doch nie gemocht, war nie eine zärtliche Tochter. Der Muffel, das Ekel, und Schlimmeres.

Kommt nur zum Handaufhalten. Dann geht es plötzlich Papa hier, Papa da. So sind die Weiber. ’N Cognac, Lissy, ich brauch jetzt einen.

Dein Blutdruck, Ferdi, du weißt, was der Doktor sagt.

’N Doppelten, mach schon.

Einen, und dann den zweiten. Ferdi war einfach ordinär, kein Stil, keine Klasse, keine Bildung. Nur Zahlen im Kopf und in die Chefetagen hochbuckeln, bis er selbst drinsaß. Und abends saufen, meckern und fernsehen. Er dagegen eine ganz andere Klasse, Pharmazie, Promotion, Poesie, Grazie, Charme. Und Herzensbildung.

Nein, sagen Sie nichts, liebe Frau Kleinhans, ich weiß, wie Ihnen zumute sein muss…Lippen schweigen, s flüstern Geigen… Sein vielsagender Blick vollendet die Zeile, und sie summt innerlich weiter diese süßeste und melancholischste von allen Melodien. Versinken in seinen Augen, herum und herum dreht sich‘s im Kopf, spüren, wie es in seinem Herzen klingt.

Du bist die Auferstehung und das Leben.

Mama, du als erste.

Sonja drückt ihr die Schaufel in die Hand. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Die Hand zittert, dunkel schwingen die Glocken. Sie wird es nicht durchstehen. Jedem die Hand drücken, unübersehbar wogen die Köpfe. Ferdi der Vereinsmeier, der Hans Dampf in allen Gassen. Gut, dass Sonja ihr zu dem Schleier geraten hat. Er schützt vor den Blicken und steht ihr gut, ein schwarzer Hauch im Sommerwind.

Immer elegant Frau Kleinhans, wie Ihnen der Hut schmeichelt.

Die halbe Sparkasse ist angerückt, und die Kegelbrüder. Erwarten dringlich den Frühschoppen, die Leiche versaufen. Wulstige Rotnasen, blaue Lippen, Bäuche. In den letzten Jahren sah Ferdi auch so aus. Dünn gesät die Männer, die in dem Alter noch passabel sind. Sein edles Profil, wenn er an seinen Regalen steht und die Verordnungen zusammenstellt, stundenlang könnte sie zugucken.

Wenn ich nur einen Menschen wüsste, der mir in dieser Verzweiflung hilft, Herr Doktor. Ich bekomme kein Auge zu, ich bin am Ende. Die ganze Nacht wälzt er sich, hin und her, hin und her, dann Aufstehen, ins Wohnzimmer, den Fernseher an, was trinken, nachts um drei, wie soll ein Mensch das aushalten. Der neue Arzt verschreibt das Schlafmittel nicht mehr, das Herz, sagt er, der Blutdruck, er muss schon genug nehmen. Helfen sie mir, lieber Herr Doktor, ich weiß nicht ein noch aus, das ist kein Leben mehr.

Das Risiko, liebe Frau Kleinhans, das Risiko…

Sie wissen, dass ich Ihre Hilfe zu schätzen weiß.

Sie nimmt den Briefumschlag aus der Tasche und schiebt ihn mit geöffneter Klappe über den Tresen, damit er es sehen kann. Das Doppelte vom Üblichen. Kann das wahr sein? Da schimmert es vertraut, am Ende der Reihe leuchtet Silberhaar. Ist er denn überhaupt schon wieder zurück? Hat es vielleicht in der Zeitung gelesen? Die Knie knicken weg, sie braucht einen Schluck und fingert in der Tasche nach dem flachen, kühlen Handschmeichler, dreht vorsichtig den Verschluss auf. Es wird nicht auffallen, wenn sie sich kurz abwendet. Sonja spricht mit diesem und jenem aus der Reihe der Händeschüttler, die Tränen noch in den Mundwinkeln. Ist er es, oder ist er es nicht?

Du reißt dich zusammen, dein Mann wird beerdigt.

Wieder ein Stoß in die Seite. Sonja wird immer bösartiger. Lissy schraubt das silberne Käppchen wieder auf den Flaschenhals. Sie atmet durch, traut sich jetzt auch nicht mehr, einen verstohlenen Blick in den Taschenspiegel zu werfen. Tastet mit der Zungenspitze, ob der Lippenstift noch sitzt. Er verschmiert so in der letzten Zeit, sickert in die winzigen Fältchen um den Mund, wie ausgefranst sieht es aus. Und das bei dem Preis.

Der Mercedes unter den Lippenstiften, kussecht, mit Collagen, das Beste vom Besten, liebe Frau Kleinhans, medizinisch getestet.

Für die alternde Haut, das wollten Sie doch wohl sagen, Herr Doktor?

Ich bitte Sie, meine Liebe. Schönheit kennt kein Alter, sie kommt von innen. Also, einmal Lippenstift, einmal Vitalisierungslotion, Tages- und Nachtcreme, und das Übliche, für Sie und den Herrn Gemahl.

Sie kann immer noch nicht sehen, ob er es ist, der Sparkassenschnösel hat sich vor ihr aufgebaut. Generaldirektor, keine Vierzig. Herr Oberwichtig, hat Ferdi immer gesagt.

Dass Ihr Mann uns so früh verlassen musste, Frau Kleinhans, wie sehr hätte ich ihm noch ein paar gute Jahre im Ruhestand gewünscht. Mein tiefempfundenes Beileid.

Gute Jahre, als ob es die jemals gegeben hätte. Geh zur Seite, ich will endlich sehen, ob er es ist.

Nur der alte Freese aus der Nachbarschaft, der lässt keine Beerdigung aus.

Die Enttäuschung rutscht  in den Magen wie ein Stein. Schnell eine Tablette aus der Folie drücken und sie hinter vorgehaltenem Taschentuch in den Mund stecken. Sie hängt bitter im Hals, man müsste nachspülen.

Muss Sonja die ganzen Leute umarmen, mit jedem sprechen? Der gute, treusorgende Papa. Mama ist sehr mitgenommen. Ja, das stimmt ausnahmsweise, fix und fertig ist sie. Sie muss eine Lösung finden. Die Kontoauszüge, die ganzen Abbuchungen, Sonja will alles sehen. Lissy hat sich schon den Kopf zerbrochen, wie sie ihrer Tochter das plausibel machen kann. Sonja mochte ihn nie. Ungezogen, triefender Hohn. und Misstrauen.

König Silberlocke, Witwenschüttler, Abzocker. Der hat ne Gelddruckmaschine mit seiner Apotheke. Gibst du Papa seine Medikamente auch richtig? Er gefällt mir nicht, er ist so kurzatmig. Messt ihr regelmäßig den Blutdruck?

Ja, ja, messt ihr. Lissy will messen und Ferdi will es nicht. Brüllt rum, sie solle sich rausscheren. Die Polin kann nicht lesen und deshalb auch nicht messen. Die ist nur zum Waschen gut, und was sie sonst noch macht in ihrem engen T-shirt, bei dem man bis sonstwohin gucken kann, na ja. Will man gar nicht wissen. Raffiniertes Luder, Schlampe. Fast jede Woche will er was vom Konto, um es ihr noch mal extra zuzustecken, dabei bekommt sie schon reichlich.

Sonja hat ja keine Ahnung, was das heißt, den ganzen Tag mit Ferdi. Die Polin ist nach einer Stunde weg, dann ist Lissy dran. Kochen, einkaufen, das Fernsehprogramm, die Medikamente. Und der Katheter, der widerliche Beutel. Morgens macht ihn die Polin, abends bleibt es an Lissy hängen. Aber  trinken und trinken. Wie sie sich das alles wegwünscht, welche Tränenströme sie vergießt. Und als Dank nichts als meckern, Brüllanfälle, Beschimpfungen schlimmster Art. Das Medikamententablett einfach runterhauen, alles kullert durcheinander und unter die Schränke. Dreck, schreit er, was soll ich mit dem Dreck. Dann eben nicht, gut, dann lassen wir es weg. Ungezogener, ungehobelter Bauer. Nur die Schlaftabletten abends nimmt er gerne, da hält er ganz ruhig. Wenigstens ab acht ein bisschen Freiheit, Ruhe und Entspannung, ein schönes Konzert, ein Liebesfilm, sich ein bisschen wegträumen, bis zum nächsten Apothekentag.

Mein Mann nimmt die Tabletten nicht, Herr Doktor, was mache ich nur damit.

Geben Sie sie mir einfach zurück, liebe gnädige Frau, ich kann sie mit dem Üblichen verrechnen, jedenfalls zum Teil.

Was nur in ihn gefahren ist an dem Samstag vor seinem Urlaub. Als Ferdi sich so unmöglich benommen hat und das ganze Frühstück mit einem Schlag vom Nachttisch gefegt hat, weil sie ihm nicht schon morgens die Schlaftabletten geben hat geben wollen.

Ich weiß nicht, was ich tun soll, Herr Doktor, ich bin völlig am Ende.

Ohne Verordnung geht gar nichts, das wissen Sie, Frau Kleinhans. Ich kann diese Risiken nicht immer eingehen. Ich tue Ihnen gern den Gefallen, aber mir sind die Hände gebunden, leider. 

Was meinen Sie? Sie können mich doch jetzt nicht einfach…

Was hat er nur?

Sie sieht in seine spiegelnden Brillengläser, dann fällt es ihr ein. Der Umschlag, sie hat ihn vergessen, oder besser verdrängt, dass er wieder fällig ist, weil Sonja jetzt scharf kontrolliert. Er nimmt keine Kartenzahlung an, also muss sie sich sputen und noch schnell zum Automaten, bevor die Apotheke schließt. Sie wird die Kontoauszüge verschwinden lassen, einfach sagen, sie seien irrtümlicherweise im Altpapier gelandet. Oder mit den Gartenabfällen verbrannt. Aus Versehen. Dagegen kann Sonja nichts sagen.

Zum Glück gibt er ihr große Packungen, sie kann ihn gar nicht ansehen und rennt nach Hause. Zwei Wochen wird er fort sein, Segelferien mit der Familie, wie jedes Jahr. Sie weiß kaum, wie sie die Zeit durchstehen soll. Ferdi ist ganz blau, sie gibt ihm zwei Tabletten mit viel Wasser, er schläft schnell ein. Ins Wohnzimmer, die Gardinen vorziehen, sich wegträumen mit einer Tablette und ein paar Schlückchen.. Lippen schweigen, s flüstern Geigen hab mich lieb…Sie stellt den CD-Player auf Wiederholung, immer wieder, immer wieder …

Als Sonja am Spätnachmittag kommt, atmet Ferdi schnappend und ist nicht ansprechbar, seine Augen haben einen seltsamen Glanz. Der Arzt, der eine halbe Stunde später eintrifft, unternimmt nichts mehr, hält nur der weinenden Sonja die Hand.

Endlich ist der Strom der Trauergäste abgeebbt. Die Kegelbrüder sammeln sich am Ausgang, die Sparkassenkollegen sind wieder zurück zur Arbeit. Nein, sie wird nicht mit ins Café kommen, geh du nur, Sonja, mich nimmt das alles zu sehr mit. Sie will nach Hause, die engen Schuhe ausziehen, sich hinlegen mit einem Schlückchen. In Ruhe Musik hören, ungestört, niemand brüllt mehr dazwischen.

Es wird Zeit, dass er wiederkommt. Sie ist vor Sehnsucht ganz krank, und die Vorräte gehen zur Neige. Wie freut sie sich auf die Apotheke, die nach der Renovierung so elegant geworden ist, eine Oase aus Chrom, Rauchglas, edlen Hölzern, die Regale gleiten lautlos in ihren Schienen. Und ein Herzklopfen, als sei man gerade siebzehn. Hinter dem Mahagonitresen wird er stehen, die Locke über der gebräunten Stirn, sein Strahlen, entspannt wird er sein, wie immer nach dem Urlaub. Das Übliche, Herr Doktor, das für mich. Mein Mann fällt ja jetzt weg.

Das Beerdigungshütchen wird sie aufsetzen, dazu das schwarze Kostüm. Die Augen etwas betonen, dass sie funkeln hinter dem Schleier. Rouge, aber nur sehr dezent, und etwas hellen Puder, auch Lippenstift, ruhig den blutroten. Die lustige Witwe. Nun bin ich frei, nun kann ich tun und lassen, was ich will, Herr Doktor. Nein, heute leider kein Umschlag, ich bin jetzt eine arme Rentnerin. Die Verhältnisse haben sich geändert. Vor einem kleinen Risiko werden wir doch nicht zurückschrecken, Herr Doktor. Man weiß schließlich, was man weiß. Und, wer sich für so was interessieren könnte, das kann meine Tochter leicht herausfinden. All die Jahre, vergessen Sie das nicht. Wie lange kennen wir uns nun schon. Aber, aber, beruhigen Sie sich, Sie wissen doch, Lippen schweigen…

 

 

 

 

 

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