So viel Bauhaus auf einem Fleck

Dr. Kurt Herberts
Ernst Oberhoff
Franz Krause
Informel
Institut für Malstoffkunde
Lackballett
Lackkabinett
Machtergreifung
Modulation und Patina
Oskar Schlemmer
Sammlung Ostasiatischer Lackkunst
Skulpturenpark
Triadisches Ballett
Waldfrieden
Widerstand Nationalsozialismus
Willi Baumeister
Wuppertaler Arbeitskreis

So viel Bauhaus auf einem Fleck

Der Wuppertaler Lackfabrikant Dr. Kurt Herberts schuf im Zweiten Weltkrieg ein Refugium für verfemte Künstler wie Oskar Schlemmer und Willi Baumeister, die er als Professoren für maltechnische Forschungsvorhaben in seinem Unternehmen beschäftigte. Dieser „Wuppertaler Arbeitskreis“ sollte – so Herberts erklärter Wille – ein „psychisches Kraftfeld“ gegen die Diffamierungen und Berufsverbote durch die Nazis bilden.

Es war eine seltsame Szenerie, die sich zur 75-Jahr-Feier der Lackfabrik Dr. Kurt Herberts am 6. Dezember 1941 im Wuppertaler Gesellschaftshaus „Concordia“ unter den Augen geladener Gäste  abspielte: Vor schwarzem Hintergrund defilierten schwarz gekleidete Gestalten in Reifröcken und skurrilen Kopfbedeckungen, die mit farbigen Grundformen wie Stäben, Dreiecken oder Kugeln dekoriert und magisch ausgeleuchtet waren. Sie führten einen gemessenen Schreittanz zu einer Sarabande von Georg Friedrich Händel auf. Lackballett nannte der regieführende Künstler Oskar Schlemmer seine Arbeit, zu der er mangels geeigneter Tänzerinnen Büroangestellte der Firma Herberts rekrutiert  hatte. Die bei dem Spektakel anwesenden Nazi-Vertreter wussten nicht, dass es sich bei dem Reigen um eine kleine Nachschöpfung des Triadischen Ballett handelte, das Oskar Schlemmer, verfemter und aus seinen Ämtern geworfener langjähriger Lehrer am Bauhaus (zunächst in Weimar, ab 1925 in Dessau), bereits 1923 kreiert hatte, nachdem er die Bauhausbühne übernommen hatte. Das Triadische Ballett war zum Markenzeichen für den Bühnenexperimentator Schlemmer geworden, der seine Stücke auch „metaphysisches Theater“ oder „Kostümballett“ nannte. Das Triadische Ballett, eine Mischform aus Theater und bildender Kunst, wurde während der 20er und Anfang der 30er Jahre einige Male aufgeführt und nach dem Krieg in mehreren aufwändigen Rekonstruktionen von deutschen Theatern gezeigt. Auch sind auf Youtube einige Versionen zu sehen.

Schlemmer hatte 1929 das Bauhaus verlassen und bis zur Machtergreifung und seiner fristlosen Entlassung 1933 die Kunstgewerblichen Schulen in Breslau und Berlin geleitet. Er hatte erleben müssen, dass seine Wandgestaltungen in der Werkstatt des Bauhauses zerstört und in der Berliner Akademie Plakate aufgehängt wurden, auf denen vor destruktiven, marxistisch-jüdischen Elementen im Lehrkörper gewarnt wurde. Im Essener Folkwang-Museum war ebenfalls ein Wandbildzyklus von Schlemmer abgehängt worden, in Stuttgart eine Retrospektive seiner Arbeiten kurz nach der Eröffnung wieder geschlossen worden.

Neben Oskar Schlemmer waren der Maler Willi Baumeister – er war kurz zuvor als Leiter der Frankfurter Städelschule entlassen worden – und der Architekt und außerordentlich kreative Allround-Künstler Franz Krause Mitglieder des sogenannten „Wuppertaler Arbeitskreises“. Der Lackfabrikant Dr. Kurt Herberts – ein sehr erfolgreicher Unternehmer, der sich durch Innovationskraft,  Gestaltungswillen, Modernität, einen humanistischen Anspruch und große Kunstbegeisterung auszeichnete – hatte den Arbeitskreis ins Leben gerufen. Ebenfalls involviert war der Wuppertaler Dozent an der Kunstgewerbeschule Ernst Oberhoff, zeitweilig waren auch die Künstler Alfred Lörcher, Georg Muche, Max Pfeiffer-Watenpuhl und Gerhard Marx mit von der Partie.

1937/38 hatte der Architekt Heinz Rasch, der für Herberts als Werbeleiter tätig war, Willi Baumeister und Oskar Schlemmer Positionen als „Professoren für maltechnische Forschungsvorhaben“ in Herberts Lackfabrik angeboten, ein Status, der ihre künstlerischen Intentionen gegenüber dem NS-Regime verschleiern sollte und später sogar als „kriegswichtig“ eingestuft wurde. Beide Künstler waren aus Stuttgarter Studienzeiten mit Franz Krause befreundet und kannten Kurt Herberts, der ebenfalls in Stuttgart studiert und sich dort, beeinflusst von Vorträgen Rudolf Steiners, der Anthroposophie zugewandt hatte. Das Engagement in Wuppertal linderte nicht nur die materiellen Sorgen der als „entartet“ diffamierten und um ihre Existenz gebrachten Künstler und ihrer Familien, sondern gab ihnen in auch eine geistige Heimat. „So viel Bauhaus auf einem Fleck und alles brauchbare Leute,“ kommentierte Oskar Schlemmer den Silberstreif am Horizont.

Kurt Herberts ging mit der Anstellung dieser Künstler ein erhebliches Risiko ein. Zwar produzierte sein Unternehmen kriegswichtige Güter, etwa Tarnanstriche für die Westfront und den Russlandfeldzug, und verdiente gut daran. Im Krieg wurde Herberts zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Dennoch hielt er sich fern von den Nazigrößen, trat niemals in die NSDAP ein und geriet nach eigenen Angaben immer wieder ins Visier der Gestapo.

Der Auftrag an die Künstler des Arbeitskreises lautete, die Anwendbarkeit der Herberts‘schen Industrielacke mit künstlerischen Mitteln zu demonstrieren. Außerdem sollten Objekte für die Ausstattung von Räumen im Unternehmen geschaffen werden.

Das erste Projekt war für das Treppenhaus eines neuen Laborgebäudes bestimmt. Der maltechnisch versierte Willi Baumeister gestaltete mit Hilfe historischer Malverfahren einen achtzehnteiligen Zyklus von Wandtafeln, der die Naturkräfte, den forschenden und gestaltenden Menschen sowie die Welt der Optik und der Farben zum Thema hatte. Ein Teil dieser Tafeln ist heute noch auf dem Campus Freudenberg der Bergischen Universität in Wuppertal zu sehen. Es folgte eine Serie von Lackobjekten, die Schlemmer, Baumeister, Krause und Ernst Oberhoff gestalteten und die als Werbegaben gedacht waren: Bezaubernde lackierte Kästen, Schränke, Lampen und Paravents – ästhetische Gebrauchsobjekte, die mit ausgeklügelten Lackiertechniken bearbeitet wurden. Vorbilder dafür fanden sich in einer firmeneigenen Sammlung Ostasiatischer Lackkunst, die bereits von Herberts Vater Walter angelegt worden war und von Kurt Herberts fortgeführt wurde.

Schlemmer schwebte als höchstes ästhetisches Ideal die makellose Lackfläche vor, die keine Spuren von Bearbeitung erkennen lässt. „Also Lack! – Was ist Lack? Wo ist sein Ursprung, was ist sein Wesen? … Lassen wir ihn glänzen und fließen, lassen wir ihn Formen bilden und Form werden, wozu ihn sein Wesen drängt, wozu ihn das Gesetz des Fließens zwingt!“ schrieb er 1940 an Heinz Rasch. Die Künstler des Wuppertaler Arbeitskreises und ihr Mäzen taten nichts ohne gründliche philosophische und künstlerische Reflexionen ihrer Projekte, die nicht immer konfliktfrei verliefen. Nach Kriegsbeginn, so berichtet Kurt Herberts, hätten solche Gespräche oft abends im Luftschutzkeller seines Hauses stattgefunden, nicht selten seien auch spirituelle Dimensionen Gegenstand der Diskussionen gewesen. Die Erkenntnisse wurden in mehreren Schriften publiziert, die von Kurt Herberts unter seinem Namen in einer firmeneigenen Reihe herausgegeben wurden. Bis heute gültig ist beispielsweise die umfangreiche malstoffkundliche Studie „10 000 Jahre Malerei und ihre Werkstoffe“.

1940 richtete Herberts in einem Bürogebäude am Wuppertaler Döppersberg ein „Institut für Malstoffkunde“ ein, in dem die Herberts-Künstler einen eigenen Sitz erhielten und auch die firmeneigene Sammlung untergebracht wurde. Obwohl das Institut von den Nazis misstrauisch kontrolliert wurde, entwickelte es sich zu einem Rückzugsort und Treffpunkt auch von anderen um ihr Überleben ringenden Künstlern, denen Herberts immer wieder Aufträge erteilte.

Bis zum Sommer 1942 arbeitete Oskar Schlemmer an Entwürfen zu einem Lackkabinett nach barockem Vorbild, einem Musterraum mit hochwertig lackierten Tafeln, die auf den ostasiatischen Traditionen beruhende moderne Lackkunst zeigen sollten. Wegen der zunehmenden Bombenangriffe und einer schweren Erkrankung Schlemmers blieb das Projekt im Entwurfsstadium stecken. Zahlreiche Entwürfe sind jedoch erhalten und wurden mehrmals ausgestellt.

Nachdem 1942 die Studie „Aus der Maltechnik geboren“ erschienen war, stellte sich der Wuppertaler Arbeitskreis das Thema „Modulation und Patina“. Untersucht wurde die Belebung von Oberflächen durch verschiedene Techniken des Farb- und Materialauftrages, die Modulation, und ihre Zersetzungsprozesse, die Patina. Dem Malmaterial solle eine mitschaffende, dem Maler fast gleichberechtigte Komponente zugewiesen werden, erklärte Kurt Herberts das Konzept. Die Künstler wussten zunächst nicht, dass unter anderen die Pariser Surrealisten zur gleichen Zeit mit ähnlichen Verfahren experimentierten, eine Strömung, die nach dem Krieg unter dem Begriff „Informel“ in die Kunstgeschichte einging. „Es ist wieder dieses Unnachahmliche der Entstehung ‚von wannen‘, es ist da, es ist nicht gemalt, man sieht keine Spuren des unglückseligen Malerpinsels und es erscheint wie ein Stück Natur…- ich wollte, ich könnte malen, als ob es ‚von wannen‘ sei und nicht von der menschlichen Hand,“ notierte Schlemmer in sein Tagebuch.

Der Tod Oskar Schlemmers im April 1943 erschütterte den Wuppertaler Arbeitskreis tief. Ende Juni wurde das Institut für Malstoffkunde mit seinen wertvollen Exponaten durch den Elberfelder Angriff vollständig zerstört. Willi Baumeister, Franz Krause und Oskar Schlemmers Bruder Casca setzten ihre Arbeit an „Modulation und Patina“ allen Widrigkeiten zum Trotz in Schloss Sommerhausen bei Würzburg fort, wo ihnen Kurt Herberts ein neues Arbeitsdomizil verschafft hatte. Ende Dezember 1944 schickte Heinz Rasch das Manuskript zum Projekt „Modulation und Patina“ und vierundfünfzig Bildvorlagen in die Schweiz, wo es als Buch erscheinen sollte. Die Kriegsentwicklung verhinderte den Druck jedoch und das Werk erschien erst kurz vor Herberts Tod im Jahr 1989. Die verbliebenen Tafeln von „Modulation und Patina“ wurden von den Freunden des Kunstmuseums Stuttgart erworben und dort ausgestellt, ebenso wie im Museum für Lackkunst in Münster, das bis heute einen Teil der Herberts‘schen Sammlung Ostasiatischer Lackkunst beherbergt.

Im Januar 1944 endeten die Verträge der verbliebenen Künstler mit der Lackfabrik Dr. Kurt Herberts und sie verließen das zerbombte Wuppertal, wo sie, wie Heinz Rasch viele Jahre später in einem Rückblick schrieb „in einer verworrenen Zeit eine Oase der Klarheit schufen und einen Hauch von Poesie zurückließen.“

 

 

 

 

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